Expeditionstagebuch: Herbst am
Fuß des Schuldenberges
Teufelsberg - Basislager
Morgens um sechs sieht das Wetter gut aus. Der Himmel über
dem Schuldenberg der deutschen Hauptstadt ist blank gefegt. Wir
haben auf etwa 10m unser Basislager am Fuß des Teufelsbergs
eingerichtet. Die Verhältnisse sind gut, vielleicht gelingt
uns die noch nie gemachte Überschreitung vom Schuttberg (115m)
zum Schuldenberg (tatsächliche Höhe noch unbekannt) ja
wirklich! Doch aus Nordosten ziehen bedrohliche Wolken heran. Der
Schuldendruck steigt drastisch. Von Osten her schieben sich immer
mehr Wolken über den Gipfel des Monte Klamotte. Wir wagen trotzdem
einen Versuch. Zuerst folgen wir in lockerer Formation dem schwierigen
Grat, doch bald nehmen uns die fehlenden Geldmengen die Sicht und
es wird zu gefährlich, an dem stark überwächteten
Grat weiterzugehen. Der Wind wird zum Sturm. Wirbel aus Geldscheinen
tanzen wild über den Schuldengrat, nehmen uns Atem und Sicht.
Expeditionstagebuch: Gipfel der Freiheit
Flughafen Tempelhof
Der Anblick raubt uns den Atem: Über uns funkeln die Sterne,
unter uns blinken einsam verstreute Positionslichter. Die ersten
Sonnenstrahlen werden Berlins totgesagten Flugplatz erst in 2 Stunden
erwärmen. Keiner, am wenigsten wir selbst hätte gedacht,
dass wir so schnell die Strecke vom Basislager bis hier her schaffen
– Monte Klamotte sei dank. Der zahme Flughafen spielt mit
seinen Muskeln, flößt allen, die glauben, leichtes Spiel
mit ihm zu haben, Respekt ein. Nicht mit Schwierigkeitsgraden und
Höhen, aber mit einem zähen Überlebenswillen und
atemberaubender Sanierungsideen. Langsam gehen wir weiter. Umrisse
werden erkennbar, Säulen faschistischer Baukunst ragen neben
uns auf. Das Rund der museumsgeschützten Anlage beginnt blau
zu strahlen. Das grüne Rollfeld bildet den Kontrast.
Expeditionstagebuch: Klettern im Sozialismus
Palast der Republik
Von den meisten Klettergebieten gibt es Führer, schöne
Bilder und viele Geschichten. Doch es gibt einen Ort, über
den es bisher kaum etwas zu hören gab: Ostberlin, genauer,
den Palast der Republik.
Hat am Palazzo Prozzo schon jemals jemand Haken angebracht, senkrechte
Routen gemeistert? Schnell ist der Slogan für das Team gefunden:
Klettern im Sozialismus!
Während am Alexanderplatz die Kurse der Bankgesellschaft in
den Boden versinken, herrschen in Erichs Lampenladen optimale Kletterbedingungen.
Ein Flickenteppich ist nicht nur die asbestbefreite Fassade des
Republikpalastes sondern auch die ganze Berliner Sozial- und Kulturpolitik.
Filz mit schwarz-roter Musterung. Unsere weit geöffneten Augen
bestasten prüfend die Oberfläche der Kletterwand. Was
gibt es für Angriffsmöglichkeiten? Sind nicht vielleicht
irgendwo Sicherheitshaken zu sehen?
Klettern heißt, den Weg des geringsten Widerstandes zu finden.
Dazu braucht man vor allem Vertrauen in seinen Seilpartner, Ausdauer,
Mut und etwas Kraft. Wir wagen die ersten Schritte in die Vertikale
im zum Berg mutierten ehemaligen Palast der Republik.
Expeditionstagebuch: Erinnerung aus Schutt gebaut
Mahnmal
Monte Klamotte, Insulaner, Golgatha - so nennen die Berliner ihre
Schuttberge. Eine Woche lang wandern wir von Landmarke zu Landmarke,
über endlose Berge aus Schutt und Schulden. Auf den glitschigen
Schulden zu laufen erfordert Aufmerksamkeit und Kraft doch schon
nach kürzester Zeit haben wir unseren Rhythmus gefunden.
Am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas erinnert ein Meer
aus Stelen an die größte Schuld des deutschen Volkes.
Unsere Stirnlampen durchdringen nur schwach die Polemik rund um
dieses Baudenkmal im Herzen Berlins.
Expeditionstagebuch: In der Seilschaft
Bankgesellschaft Berlin
Wie üblich, gibt es vor dem Aufbruch noch wilde Spekulationen,
wer mit wem ins Seil geht. Viele Bergsteiger gehen allerdings früh
los, denn hier diktiert ein steifer Kurswechsel und die verschiedenen
Seilschaften müssen gegeneinander antreten um den Gipfelsturm.
Zum Glück haben wir die klassischen Höhenprobleme (Kopfweh
etc.) schon länger nicht mehr.
Die Leiter zum Aktienhimmel wackelt zwar bei jedem Schritt seitwärts
hin und her, wirklich interessant ist aber erst der Ausstieg in
eine fast trittlose Querung, aus der man sich mit Hilfe einer kleinen
Handschlaufe aus Fixseil auf die Terrasse oberhalb hieven kann.
Nach einigen Kurskorrekturen erreichen wir rechts hinter der Kante
eine waagerechte Querung auf schuttbedeckte Bänder aus Kalkstein.
Sieht aus wie in den Alpen, ich fühle mich an die Berliner
Hütte im Zillertal erinnert.
|